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Das Nachbarschaftswesen in Siebenbürgen
Nachbarschaften waren und sind zum Teil heute noch eine Einrichtung der Siebenbürger Sachsen, die gegenseitige Hilfeleistung, Sicherstellung der öffentlichen bürgerlichen Ordnung, Bewahrung von Sitten und Bräuchen und Teilnahme am kirchlichen Leben organisierte. Sie sind in erster Linie der Erkenntnis geschuldet, dass die Herausforderungen in frühester Siedlungszeit nicht alleine zu bewältigen waren, sondern nur als Gemeinschaftswerk das Überleben gesichert werden konnte. Die Art und Weise, wie das Zusammenleben dadurch organisiert wurde, wie auch die lange Tradition, auf die sie zurückblicken, haben Modellcharakter.
Grundzüge
Die konsequenteste soziale Einrichtung der Siebenbürger Sachsen ist/war die Nachbarschaft, eine aus der Not geborene Organisation des Zusammenlebens, die auf Eigenverantwortung, Gemeinschaftssinn, Hilfsbereitschaft und vor allem der Erkenntnis des Aufeinanderangewiesenseins aufbaute. Die Herausforderungen vor denen die Siedler von Anbeginn standen, führten schnell zu der Erkenntnis, dass nur in gemeinsamer Anstrengung und Beistand das Überleben zu sichern sei.
All das, wofür in unserer Wohlstandsgesellschaft der Staat verantwortlich gemacht wird (ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt) und wofür er mehr oder weniger effizient und erfolgreich sorgt und sorgen kann, wurde im Rahmen der Nachbarschaften in Eigenregie höchst erfolgreich (immerhin haben es die Nachbarschaften bis in unsere Tage geschafft) organisiert - ohne Verwaltung und Bürokratie, jedoch mit einem stark ausgeprägten Gemeinsinn.
Das lange Überleben und Funktionieren dieser Institution ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass sie eben nicht in den Zünften, dem Gemeinwesen oder Verwaltung aufgegangen ist, sondern ihren eigenständigen Charakter und Organisation über die Jahrhunderte bewahrt hat.
Historisches
Die erste schriftliche Erwähnung einer Nachbarschaft stammt von 1498 und betrifft - wie kann es anders sein - die Marktgemeinde Tartlau. Ursprüngliche Aufgabe des Nachbarschaftswesens war das Sichern des gemeinsamen Brunnens und Hilfe bei Totenfeiern. Jedes Mitglied hatte ein Anrecht auf Hilfe und die Pflicht, Hilfe zu leisten, sooft "er etwas Schweres zu heben hat, so ihm allein zu schwer ist, es möge sein was es wolle, zu Ehren, Freud oder Bekümmernis". Das konnten auch andere Lebenslagen wie Hausbau, Hochzeit, Krankheit, Geburt und vieles mehr sein.
Organisation und Aufbau
Die Organisation der Nachbarschaften fußte auf religiösen Grundzügen, sie war der "geistlichen Oberaufsicht" (Pfarrer, Presbyterium, Konsistorium) unterstellt.
Oberste Instanz war der freigewählte Nachbarvater (Hann). Der Nachbarschaft gehörten alle verheirateten und hofbesitzenden Männer an. Diese mußten sich nach ihrer Hochzeit einkaufen ("einrichten"). Alle Rechte und Pflichten wurden anfangs mündlich, später auch schriftlich festgehalten. Einmal im Jahr fand der "Richttag" statt, an dem die Statuten vorgelesen wurden, danach Gericht gehalten und Strafen verhängt wurden.
Mitteilungen zwischen den Mitgliedern einer Nachbarschaft wurden über das Nachbarschaftszeichen mitgeteilt. Dies war in der Regel aus Holz oder Messing und schön geschnitzt oder graviert. Sobald man das Zeichen erhielt, mußte es so schnell wie möglich dem nächsten Nachbarn weitergegeben werden.
Nachbarschaften heute
Durch die massive Auswanderung ist in den meisten Orten die Zahl der Mitglieder soweit zurückgegangen, dass ein Aufrechterhalten der Nachbarschaften nicht mehr möglich war. Auch außerhalb Siebenbürgens sind vereinzelt Nachbarschaften gegründet worden, die vorwiegend gesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen und bei denen die Pflege von Brauchtum im Mittelpunkt steht. Die Aufgaben der 9. Tartlauer Nachbarschaft wollen wir hier vorstellen.
Quellen: Scola, Acker-Sutter, "Dorfleben der Siebenbürger Sachsen"
Erstellt: 28. November 2009 - 22:27. Geändert: 21. Februar 2010 - 15:06.
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